Geschichte (3)

Hansa von 1979 – 2010

Verein – Geschichte

Die große Hansa-Persönlichkeit Willi Bernsmann hat riesige Fußabdrücke im Sand der Vereinsgeschichte hinterlassen, die, zumindest teilweise auszufüllen, unsere Aufgabe für die Zukunft sein sollte.

Seine humorvolle Geschichte unseres Traditionsvereines haben wir genauso übernommen, wie sie seinerzeit in der Vereinsschrift zum 35. Jubiläum des SV Hansa erschienen ist.

Was ist nun aber in den Jahren danach geschehen?
Durch welche Gewässer musste die Hansa-Kogge bis zum heutigen Tage schippern?
Und wie soll es weitergehen mit der alten Fregatte?

Diese Fragen möchte ich im Folgenden versuchen, einigermaßen zusammenhängend zu beantworten.

Der eine oder andere wird möglicherweise bestimmte Ereignisse nicht genügend gewürdigt sehen, die ihm persönlich wichtig sind; dafür möchte ich mich entschuldigen. Doch dies ist eben meine subjektive Sicht der letzten 30 Jahre. Über die Jahre bis 1979 werde ich nämlich hier nicht berichten, da ich als altes Horster Gewächs den Ereignissen im fernen Gelsenkirchener Norden ungefähr die gleiche Aufmerksamkeit wie den Ereignissen im genauso fernen Afrika gewidmet habe.

Erst als ich 1979 meinem Mann ins schöne Scholven gefolgt bin, lernte ich ziemlich bald die Freuden und Leiden eines Mitgliedes der Hansa-Familie kennen. Mein Mann Gerd Schröter-Kochmann, der bis 2010 langjähriger Vorsitzender unseres Vereines war, spielte damals in der zweiten Mannschaft, wo – wie seinerzeit in sämtlichen Abteilungen – ein wunderbares Zusammengehörigkeitsgefühl herrschte.

Es wurde gemeinsam gespielt und gefeiert, dass die „Schwarten krachten“.

Einige Monate nach meiner Ankunft in Scholven durfte ich Gast bei einer Karnevalsfeier sein, die „Oben“ stattfand.

Zu „Oben“ ein paar klärende Worte für die Jüngeren:
Wenn abends im Schankraum Feierabend war, komplimentierte unsere eigentliche Herrscherin, die Jugendleiterin Anni Kunze, die üblichen Verdächtigen gegen 22 Uhr aus dem Jugendraum mit den Worten: „Dann geht eben nach „Oben“! Hier ist jetzt Schluss! Ich muss noch für meine Jungens was für morgen kochen!“.
Ja…“Oben“ war das Vereinslokal „Zur Erholung“.

Und hier ging´s auch Nikolaus und Karneval zur Sache. Das Karnevalsfest im Jahre 1980, welches mich so sehr beeindruckt hatte, war lediglich eine von vielen Feiern, und dennoch hat sich mir unauslöschlich die Pracht der fantasievollen Kostüme, die ausgelassene Stimmung, die familiäre Atmosphäre ins Gedächtnis gebrannt. Auch meine erste Adventfeier mit Nikolaus und Knecht Ruprecht, die rituell stets gleich ablief (inklusive der Bestrafung unartiger Spieler), war eine tolle Gelegenheit , sich langsam in Scholven heimisch zu fühlen.

Es ging hier nicht nur um Fußball, deshalb verzichte ich in meiner persönlichen Vereinsgeschichte von 1979 bis 2010 auch weitgehend auf Tabellen , Torschützen und Meisterschaften.

Diese Dinge können bald an anderer Stelle nachgelesen werden.

Meine Hansa-Geschichte soll das Gefühl wiedergeben, welches wir damals hatten. So war es selbstverständlich, dass man nach dem Spiel oder Training noch im Jugendraum bei Anni Kunze und dem 1998 verstorbenen Walter Slawinski zusammensaß und etwas plauderte. Am Sonntag kamen schon morgens die „Hansa-Opas“ wie Helmut Sutzki, Willi Mühlenbrock und andere Alte Herren zum Frühschoppen. Zu Pils, Korn und Zigarre erzählten sie von früheren großen Zeiten, Helmut Sutzki stets einen ganz kurzen, fast ausgebrannten Zigarettenstummel wie angetackert im Mund, wobei ich mich seinerzeit fragte, ob es nicht immer die gleiche Zigarre war, die er da stolz mit sich herum trug.

Ab und an holte der eine oder andere Alte Herr umständlich seine Geldbörse aus der Hosentasche und zog einen Geldschein heraus. Da gab´s dann eine Spende für die Jugend, worüber Anni sich immer sehr freute und die Jugendkasse stets perfekt verwaltete. Die späten 70er und frühen 80er Jahre waren noch geprägt von tiefer Zuversicht und Erwartung einer guten Zukunft. Unsere 1. Mannschaft spielte seit 1973 zwar nur noch in Bezirks- oder Kreisklasse, lockte dennoch stets viele Zuschauer auf den Platz.

Regelmäßige Kurzreisen der Seniorenmannschaften und der Jugend , z.B. im Winter nach Tirol und im Sommer nach Malente sind sicher allen älteren Hanseaten noch in guter Erinnerung.

Bei aller Hansa-Begeisterung, die meine Person seinerzeit erfasste, blieb mir doch nicht verborgen, dass die Zukunft, die unsere heutige Gegenwart ist, mit Macht an die Türen des Vereines klopfte. Schon in unserer Festschrift zum 65. Jubiläum von 1979 kann man über Abwanderungsgelüste von Spielern nachlesen. Der Vorstand überlegte damals, ob man „durch intensive Werbung“ Spieler von auswärts in den Verein holen sollte, um den Klassenerhalt zu sichern, oder ob man durch „totale Intensivierung“ der Jugendarbeit auf die Zukunft setzen sollte.

Mitte der 80er Jahre kämpfte Hansa immer wieder um den Erhalt der Bezirksklasse, dies mit einer zum großen Teil aus echten Hanseaten rekrutierten Mannschaft (Kunze, Elpers, Lüddecke, Schulz usw.). Auch die 2. Mannschaft, in den 80ern lange Jahre von meinem Mann Gerd und danach von unserem „Turbo“ Klaus Huesmann trainiert, bestand zu 80 % aus ehemaliger Hansa-Jugend.

Nie werde ich das legendäre Tor von Willi Weber, das den langersehnten Aufstieg in die Kreisklasse B besiegelte, vergessen.

Wenn wir Hanseaten und Hanseatinnen (als solche fühlte ich mich recht bald nach meinem Umzug in die Nienkampstraße) bei einigen gepflegten Bieren zusammen saßen, verspürte zu unserer Freude der Willi noch jahrelang Lust, uns immer wieder sein Tor zu erzählen, wobei er es bis ins kleinste Detail ausmalte, damit wir alle noch ein bisschen dieses tolle Aufstiegsgefühl genießen konnten.

Das Ende der 80er und den Beginn der 90er Jahre habe ich als Hanseatin nicht so intensiv miterlebt. Gerd und ich beendeten unser Studium, begannen unser Berufsleben und widmeten uns vermehrt der Familienplanung, um für etwaige neue Jung-Hanseaten zu sorgen. Regelmäßig informierten wir uns über die neuesten Ereignisse um die Hansa-Kogge und ihre Mannschaft.
Wir hörten vom Aufstieg in die Landesliga und freuten uns mit allen Fans; schien es doch als bräche wieder ein Goldenes Zeitalter an.

Doch kam alles ganz anders.
Mitte der 90er Jahre ist unser altes Schiff in einen tosenden Sturm geraten.

Nach dem plötzlichen Tod unseres Vereinswirtes und Vorsitzenden Erwin Biermann stand der Verein vor dem Aus. Die Hansa-Kogge trudelte führerlos ihrem Untergang entgegen. Die Mannschaft suchte händeringend nach tapferen Matrosen, die bereit wären, das Ruder in die Hand zu nehmen um die alte Dame wieder in ruhige Fahrwasser zu geleiten.

Hier beginnt meine Geschichte als Mitglied des Vorstandes unseres Vereines.

Mein Mann Gerd übernahm den Vorsitz und damit auch die Verantwortung für den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg des SV Hansa-Scholven. Ihm ist es auch zu verdanken, dass unser stolzes Schiff nicht abgewrackt werden musste. Mit Gerd als Kapitän und mir als Steuerfrau ging es auf das nächste Jahrtausend zu. Sowohl sportlich als auch finanziell konnte sich der SV Hansa nach einiger Zeit wieder „sehen lassen“.

Von 2005/6 bis Juni 2010 trugen die Schalker A- und B-Jugend ihre Meisterschafts- und Pokalspiele auf unserem neu angelegten Rasenplatz aus, auf dem vor einiger Zeit sogar eine überdachte Tribüne errichtet worden ist. Unsere Erste unter Trainer Klaus Lehberg (streng aber gerecht) hat mit Anlauf in der letzten Saison die „Rückrundenmeisterschaft“ in der Kreisklasse A errungen, was leider keine weiteren Folgen wie etwa Aufstieg hatte. Den streben wir für die jetzige Saison 10/11 an.

Doch müssen wir, wie auch andere Sportvereine mit einer völlig anderen Bevölkerungsstruktur vorlieb nehmen. Die alten Hanseaten, oftmals Bergleute, Handwerker und andere Mittelständler sterben nach und nach weg und die Jungen werden auch weniger und lassen sich auch nicht mehr so leicht für den Amateurfußball begeistern.

In meiner Jugendzeit gab es am Sonntag nichts anderes als auf den Platz zu gehen. Hunderte Zuschauer waren bei jedem Heimspiel der Emscher-Husaren in Horst zugegen, und in Scholven war es nicht viel anders ,als dass die Väter mit ihrem Nachwuchs am Spielfeldrand standen und dort ihren Frühschoppen abhielten. Schließlich und endlich gab es nicht viele andere Freizeitangebote. Ein einziger Fernsehsender unterhielt die Leute ab 17 Uhr. Davor und nach etwa 22 Uhr war Sendeschluss. Ich vermute fast, dass die Wörter „Sendeschluss“ und „Testbild“ dem „gemeinen Heranwachsenden“ nicht mehr bekannt sind.

Heute haben die Kinder bis zum Nachmittag Schule und kommen häufig erst gegen 16 Uhr nach Hause, wo Fernseher und Computer oder Playstation warten. Da sitzen die jungen Leute oft bis in den späten Abend und spielen oder chatten mit Freunden. Am Wochenende gibt’s Sport auf allen Kanälen oder die Disko ruft.

Also haben die Sportvereine in unserem Kreis eine doppelt schwere Aufgabe. Sie müssen um immer weniger Kinder werben, die ihrerseits noch von vielen anderen Freizeitangeboten gelockt werden. Wo sind die ganzen Kinder? Das frage ich mich fast täglich auf meinen Hundespaziergängen. Früher waren die Bürgersteige voll mit „Himmel und Hölle“ – Kreidezeichnungen. Die Kinder hinkelten oder spielten Gummitwist. Jeder Eingang und jeder Hof war bevölkert von kleinen Nervensägen, deren Mütter aus den Fenstern riefen, dass der Papa wegen dem Lärm nicht schlafen kann, wo er doch Nachtschicht hat.

Und wo sind die sportlichen Großereignisse wie „Straßenkampf Scholven gegen Bülse“ geblieben, bei denen sich die damalige männliche Jugend fit für die Bundesliga machte? Heute sieht man mehr Rollatoren als Kinder auf den Straßen. Und Gott sei Dank gibt es dank der vielen hier ansässigen Migrantenfamilien überhaupt noch Kinder.

Den Herausforderungen, die diese gesellschaftlichen Umbrüche an den Verein stellen, sind wir in den letzten Jahren nicht wirklich gewachsen gewesen. Irgendwie war der Schwung weg und die Luft raus.

Was also tun mit dem Hansa-Schiff? Ab ins Museum oder nochmal flott machen?

Seit März habe ich die schwierige und ehrenvolle Aufgabe des Vorsitzes übernommen und bin damit die erste weibliche Kapitänin in der Vereinsgeschichte. Nun kann man da nicht einfach kneifen und sollte zum Ruhm des weiblichen Geschlechtes die Sache zumindest nicht schlechter als meine Herren Vorgänger machen.

Also wieder flott machen! Die Frage ist nur , wie…

Hoffenheim ist woanders und perfekten Fußball können wir in der Bundesliga sehen.
Was also haben wir was die nicht haben?
Wie schon eingangs erwähnt, geht es nicht nur um Fußball, sondern um Gemeinschaft mit Herz, sozusagen von der „Wiege bis zur Bahre“.

Hier, wie überall in Deutschland, wo Nachbarschafts- und Familienstrukturen zerfallen, wünschen sich junge Menschen Gemeinschaften, die ihnen Geborgenheit und Werte vermitteln. Ob das Internet-Communities, Fanclubs oder Sportvereine sind; wir als „Ersatzfamilien“ sind heute ganz erheblich gefordert, den Heranwachsenden eine Heimat zu bieten, wo sie Regeln und Werte kennenlernen. Durch Mannschaftssport übt man sich in Disziplin, Rücksichtnahme, Taktik und Strategie; man lernt Freunde kennen, mit denen man mehr macht als einfach „abzuhängen“.

Jugendleiter- und Trainer sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie einen erheblichen Einfluss auf ihre Schützlinge haben und – ob sie es wollen oder nicht – als Vorbild dienen, sportlich, menschlich und moralisch. Wenn wir gute Vorbilder sind, dann muss uns nicht Bange um die Zukunft des Vereines sein, heißt es doch „wie der Herr so´s Gescherr“. Man lernt also für´s Leben in so einem Verein. Ganz einfach, indem man mitmacht und daraus viel Freude und Energie mit nach Hause nimmt. Und alles zu dem Preis einer Currywurst mit Pommes (pro Monat!).

Rufen wir den Kids also zu : „Hey! Das ist unser Platz! Wir alle können ihn gemeinsam gestalten.

Jedes einzelne Mitglied hat die Möglichkeit sich einzubringen, vom Würstchen-Grillen über die Durchführung von Turnieren, Ausflügen oder Gestaltung von anderen Events. Jeder kann etwas Kreatives tun um für genügend Wind zu sorgen, den unsere ehrwürdige Hansa-Kogge benötigt, um wieder an Fahrt zu gewinnen.

In neun Jahren werden wir 100. Dann wollen wir unser großes Jubiläum mit Stolz und Zuversicht in eine noch lange währende Hansa- Geschichte begehen.

 

Also alle Mann an Bord — Hansa Ahoi!

Eure Barbara Kochmann